Hotel Benger

Alles außer Stillstand

Es könnte eigentlich jetzt losgehen. Alles ist vorbereitet in der Gaststube des Hotel Benger, in der der Herbst eingezogen ist. Strohpuppen sitzen in den Fensternischen, umzingelt von kleinen Kürbissen aus Plastik. Von der Decke hängt ein Kranz aus grünen und roten Äpfeln herunter. Bloße Dekoration. Die Dinge hier haben lange Bestand. Die Holzvertäfelung aus dunkler Eiche, passend dazu auch das Mobiliar. Urig-rustikal präsentieren sich das Gasthaus und auch der menschenleere Speisesaal um kurz nach vier an einem Nachmittag im November. In dem denkmalgeschützten Altbau an der Uerdinger Straße 620 herrscht zu normalen Zeiten in den Abendstunden eigentlich Gewimmel, klirren Gläser, ertönt Gelächter und wird gesellig geplaudert. Doch von Stillstand ist hier keine Spur.

Der Pächter Alain Michelis macht erst einmal ein bisschen Licht im Restaurant, als er zum Gespräch kommt. Im Hintergrund surrt leise der neu installierte Luftfilter. Wenn andere in den Feierabend gehen, legt Michelis in diesen Tagen erst richtig los. Der Chef des Hauses erscheint in Weiß und Schwarz. Er trägt seine Kochjacke, denn gleich wird er noch viel zu tun bekommen. Eigentlich wollte er an den Abenden Gruppen und größere Gesellschaften bewirten, doch es ist bekanntlich alles anders gekommen. Der Mann, mit der frankophonen Stimmfarbe seines Heimatlandes Luxemburg ausgestattet, ist ein gelernter Koch und nun ins Außerhaus-Geschäft eingestiegen. Er kocht und brät nun für die Menschen, die sich nicht mehr versammeln dürfen und dennoch das besondere Etwas seiner Köstlichkeiten nicht missen möchten. Spare-Ribs, halbe Hähnchen, frische Reibekuchen, um nur einige wenige zu nennen. Gern in der Vorweihnachtszeit auch Gänsebrust mit Rotkohl, Maronen, Bratäpfeln und Klößen. „Es deckt nicht unbedingt die Kosten. Man tut es aber gern für die Stammkunden. Die freuen sich“, erklärt er seine Motivation. Es ist der gute Geist, der ihn antreibt, die Lust an seiner Arbeit, wenn er die Zufriedenheit seiner Gäste erlebt. Es ist eben das Ethos seines Gewerbes: Der Gast muss gern wiederkommen wollen.

Dieser Leidenschaft frönt er seit fast vier Jahrzehnten. Alain Michelis lernt mit 16 Jahren das Koch-Handwerk in seiner Heimat. Nicht das Geld treibt ihn an, sondern die Würdigungen. Als Lehrling besucht er Weltmeisterschaften, macht sich mit der Ikone Paul Bocuse bekannt. Er hat Rivalitäten ertragen, die Ellbogen mancher Mitbewerber in der Sterne-Gastronomie gespürt. Mit 23 wird er Küchenchef. Es folgt eine lange Reise durch Europa. Er arbeitet in der Schweiz, auf der Ferieninsel Sylt, bekocht die Kreuzfahrer auf der MS Europa genauso wie später die Fußballer von Borussia Mönchengladbach. Nach einem Aufenthalt in einem Hotel-Restaurant in Niederkrüchten kommt er schließlich nach Krefeld. Ein Bierleitungsreiniger hatte ihm davon erzählt, dass für das Objekt in Bockum ein neuer Pächter gesucht werde. Das ist jetzt 14 Jahre her.

Alain Michelis grämt sich nicht wegen der Pandemie mit ihren vielfältigen Auswirkungen. Er ist ein Zeitgenosse, der den Lauf der Dinge mit kühlem Kopf verfolgt. Die Schule des Lebens hat es ihm gelehrt: „Es geht jetzt mal bergab, es ging vorher bergauf und es wird danach auch wieder bergauf gehen.“ Das ist die Bildsprache des passionierten Rennradfahrers. Da gibt es nie nur die Ebene, sondern auch die Abfahrten, aber vor allem spürt man die Anstiege. „Ich sehe die Zukunft positiv. Deutschland ist ja ein Meckerland. Aber es geht uns hier doch gut. Es wird in der Corona-Krise doch vielen vom Staat geholfen.“ Und auch das: Bei der Pacht des Hauses ist ihm sein Vermieter sogar entgegengekommen.

Die ersten Bestellungen treffen ein, Alain Michelis führt Listen und vergibt Abholzeiten. Das Geschäft lief im Frühjahr schon gut, als die Restaurants schon einmal schließen mussten: „Da habe ich an einem Tag mal 40 Hähnchen verkauft. Das hat mich selbst überrascht.“ Die Küche bleibt montags bis donnerstags geöffnet. Geschäftsleute dürfen kommen und nächtigen, genauso wie Monteure und Techniker. Es sind die Gäste, auf die Michelis jetzt setzt in der Krise, aber auch auf Tüchtige, die ihren Arbeitsplatz im Büro räumen mussten und über den Tag eine gemütliche Bleibe suchen, um weiter ihrem Job nachzugehen. Von 8 bis 18 Uhr können sie bei ihm zum Pauschalpreis einkehren, Internet und ruhige Atmosphäre sind garantiert. Neuerdings sind auch sechs Klimaanlagen in den Zimmern installiert. Die Krise erfordert ein Umdenken auf allen Ebenen. Der Pächter führt durch lange Korridore in den Hinterhof. Man gelangt auf den Parkplatz mit einer Ladestation für Elektro-Autos. Zwei Stecker für zwei Fahrzeuge. Höchstleistung: 22 Kilowatt pro Stunde, über Nacht ist das Auto aufgeladen. Michelis versucht viel. Seit mehr als 100 Jahren befindet sich das Hotel im Familienbesitz. Auch er hat den Wandel mitgetragen. „Ich habe schon alles auf links gedreht, jedes Möbelstück schon einmal uausgetauscht“, verrät der Luxemburger seinen Gestaltungswillen. Nichtstun ist keine Alternative für ihn, schon gar nicht in einer Krise wie jetzt, die Ideen und neue Wege erfordert. „Stillstand ist das schlimmste, was man machen kann.“

Es ist kurz vor fünf am Nachmittag, als er in die Küche strebt. Für ihn beginnt die Arbeit an Herd und Ofen. Die Kunden sollen schließlich nicht lange warten. Gern wiederkommen. Davon lebt ein Gastronom wie Alain Michelis. Die Krise bloß absitzen, das wäre nichts für ihn.

Hotel Restaurant Benger
Uerdingerstraße 620
47800 Krefeld
Tel.: KR / 9554-0
Mail: reservierung@hotel-benger.de
www.hotel-benger.de

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